VII. Gibt es auch schriftliche Indizien bei Gauguin?

 

Ja, einige. Der interessanteste Hinweis ist ein Abschnitt in seinen Erinnerungen „Avant et Après“, wo Gauguin schreibt: „Ich musste Umwege suchen, um nicht ins Gefängnis zu gehen.“ Danach gibt er ein Beispiel seiner rhetorischen Geschicklichkeit, ergänzt durch zwei literarische Zitate. Das erste stammt vom altgriechischen Redner Demosthenes (in griechischer Schrift) und bedeutet „als es Nacht (dunkel) war“, das zweite ist ein leicht veränderter Vers aus der Tragödie „Athalie“ von Jean Racine: „Es geschah im Schrecken einer finsteren Nacht“ (C'était pendant l'horreur d'une profonde nuit).

Diese Passage muss als indirektes Geständnis gelesen werden: Racines Drama behandelt das Schicksal der verbrecherischen und tyrannischen Königin Athalia, die dem heidnischen Baalskult anhängt und versucht, das jüdische Volk von seinem Gott abzubringen. Doch zuletzt ist sie voller Angst und wird von Albträumen verfolgt; schließlich wird sie bei einem Volksaufstand unter Führung des jungen Königs Joas erschlagen.

Gauguin zitiert hier einen Vers aus dem Monolog, in dem Athalia über ihre Albträume spricht und über ihre Ängste, die sie trotz aller Bemühungen, sie zu vermeiden, überall verfolgen (übrigens ebenso wie Gottes Auge den Brudermörder Kain in Victor Hugos Gedicht „La Conscience“ bis zu seinem Lebensende verfolgt).
In dieser Passage seiner Memoiren verweist Gauguin offenbar auf den „Horror“ jener Nacht, in der er van Gogh verletzt hatte, und erklärt, er verdanke es allein seiner rhetorischen Geschicklichkeit, dass er die Polizei und alle anderen von seiner Unschuld überzeugen und damit vermeiden konnte, ins Gefängnis zu kommen.

So lautet die Passage im handschriftlichen Original der Memoiren „Avant et Après“:

... mehr lesen

Ein weiterer interessanter schriftlicher Hinweis Gauguins ist ein Satz in seinem Brief an den Kritiker André Fontainas (1865-1948), den er im September 1902, acht Monate vor seinem Tod auf der Insel Hiva Oa geschrieben hat: Dort schrieb er: „Bei van Goghs edlem Charakter kann ich, der ich ein Mensch mit versiegelten Lippen bin, mich nicht beklagen“ 30 (bei Frage XI)

Hier bestätigt Gauguin den „Pakt des Schweigens“ mit Vincent van Gogh. Zugleich würdigt er seinen verstorbenen Kollegen, der seinen „edlen Charakter“ bewiesen hatte, indem er verschwieg, dass Gauguin ihm das Ohr abgetrennt hatte (siehe Frage XI)

  

<< vorherige nächste Frage >>